Kaum wurde die neue Bundesregierung gebildet, schon werden jeden Tag „neue“ Ideen durch die Medien gejagt. Seit letzter Woche diskutiert man nun, ob nicht das Kindergeld für im Ausland lebende Kinder gekürzt werden sollte. Da dies auch 9.550 ungarische Kinder betreffen würde, haben wir mal einen Faktencheck gemacht.
Die Richtigkeit der kolportierten Zahlen unterstellt, zahlte Deutschland im letzten Jahr 343 Millionen Euro Kindergeld an Kinder in der EU, die nicht in Deutschland leben. Insgesamt geht es um 250.000 Kinder, mehr als 40% davon allein aus Polen. Die Zahlungen erfolgten deshalb, weil zumindest ein Elternteil in Deutschland arbeitete und entsprechend Steuern und Sozialabgaben zahlte. So will es das geltende EU-Recht. Die politische Diskussion kam nun wieder auf, weil sich der Zahlbetrag Deutschlands seit 2010 verzehnfacht hat, wie sich aus der Antwort auf eine entsprechende Anfrage der AfD im Bundestag ergeben hat. Auch Politiker anderer Parteien sprangen auf den Zug auf. So wird argumentiert, dass Kindergeld an „die Lebenshaltungskosten der jeweiligen Länder angepasst werden müsse“ oder die Zahlungen „dem deutschen Steuerzahler nicht mehr vermittelbar seien“, der Boulevard schrieb von einer „Ungerechtigkeit gegenüber deutschen Steuerzahlern“.
Dumpfer Populismus fängt freilich da an, wo Unwissenheit herrscht. Und das muss an dieser Stelle leider festgestellt werden. Anscheinend sind sich die Damen und Herren Politiker nicht im Klaren darüber, was sie mit der „Anpassung“ an die tatsächlichen Kosten in Wirklichkeit fordern, nämlich die Zahlungen ins Ausland zu erhöhen! Lebensmittel sind in Ungarn etwa zum Teil deutlich teurer als in Deutschland, ein Besuch bei einem der auch in Ungarn aktiven deutschen Discounter schafft hier schnell Aufklärung. Warum das so ist? Die Umsatzsteuer ist deutlich höher (27% gegenüber 7% oder 19%), Wechselkursrisiken sind zu berücksichtigen, landeseigene Vertriebsstrukturen sind aufzubauen, Inhaltsangaben müssen übersetzt und die Produkte zumindest mit einem Aufkleber versehen – und das alles für einen relativ kleinen Markt mit weniger als 10 Millionen Einwohnern. Dass die ungarische Verkäuferin am Ende weniger verdient als ihre deutsche Kollegin, fällt da nicht mehr ins Gewicht. Das Ungarn dennoch als „billig“ gilt, liegt an den (meist) günstigeren Immobilien, Eintrittspreisen oder diversen Dienstleistungskosten. Der „Urlaubseuro“ gewinnt so tatsächlich an Wert, im Alltag müssen Kinder aber erst mal verpflegt und angezogen werden.
Die zweite „Ungenauigkeit“ ist die behauptete Ungerechtigkeit gegenüber dem „deutschen Steuerzahler“. Zu denen gehört nämlich auch der in Deutschland arbeitende Elternteil! Aus Österreich, wo diese Diskussion bereits 2016 und dann zu Beginn dieses Jahres wieder aufflammte, war seinerzeit zu hören, dass dort arbeitende Ausländer etwa doppelt so viel in die Sozialsysteme einzahlen, als dass sie von diesen Leistungen bekommen. Warum sollte man dann diesen Nettoeinzahlern weniger Kindergeld geben als ihren deutschen Kollegen?
Hier kommt dann auch der Gleichheitsgrundsatz ins Spiel. Man darf gespannt sein, warum dieser nicht verletzt sein soll, weil der eine links und der andere rechts der Oder wohnt und deshalb weniger Geld bekommt. Oder eben in Sopron bzw. Eisenstadt. Zudem steht die Frage, an welchem Kostenindex eine Anpassung überhaupt abgeglichen werden soll.
Natürlich kann ins Feld geführt werden, dass die betreffenden Länder wie auch Ungarn ihren eigenen Kindern weniger Kindergeld zahlen. Das hat aber nichts mit den behaupteten niedrigeren Lebenshaltungskosten zu tun, sondern schlichtweg mit dem dort niedrigeren Lohnniveau, berührt den in Deutschland geschlossenen Arbeitsvertrag also überhaupt nicht. Oder sollen staatliche Gelder in Zukunft vom Ort der Herkunft anhängig gemacht werden? Bei der Gelegenheit könnte man auch die Unterschiede zwischen Ost- und West- oder Nord- und Süddeutschland diskutieren.
Und es ist hinreichend bekannt, dass die „Osteuropäer“ oft die Arbeiten machen, für die sich Einheimische schon längst zu schade sind. Urlaubsland Österreich – ja, weil vor allem Ungarn und Slowaken die eher weniger attraktiven Arbeitsplätze im Gastgewerbe annehmen. In der Alpenrepublik ist es auch so, dass 80% der 24-Stunden-Rundumbetreuung bei häuslichen Pflegefällen von Ausländern geleistet wird. Drastisch ausgedrückt: den Arsch dürfen diese abwischen, Kindergeld soll man dafür aber bitte nur mit Abschlägen bekommen. Das stinkt zum Himmel! Und für Deutschland ist das nicht ungefährlich. Vielleicht sind es diese 300 oder 400 Euro Kindergeld, die diese Jobs für Ausländer überhaupt erst attraktiv machen. Nimmt man ihnen diese weg, sind sie vielleicht selber schnell weg. Für den deutschen Hartz-IV-Berechtigten lohnen sich solche Jobs ja bereits jetzt nicht mehr. Es wird zwar oft genug gesagt, dass Kindergeldzahlungen nicht als „Gehaltsergänzungen“ gedacht sind, de facto sind sie es aber schon.
Zuletzt kann dem „deutschen Steuerzahler“ zur Beruhigung noch mitgeteilt, dass er für die Kinder im Ausland ohnehin nur beschränkt aufkommt, selbst wenn die Eltern oder zumindest ein Elternteil in Deutschland vollumfänglich in die Sozialsysteme einzahlen. Deutschland zahlt diesen Kindern nämlich nicht das volle deutsche Kindergeld, sondern lediglich den Unterschied zu dem Land, in dem das Kind tatsächlich lebt. Dieses Heimatland, also etwa Ungarn, bekommt von dem in Deutschland lebenden Elternteil zwar keine Steuergelder, darf aber für die Ausbildungskosten vollumfänglich aufkommen. Was wohl der ungarische Steuerzahler dazu sagt?!
Im Übrigen ist das Verfahren, mit dem ein Nachweis über die Existenz der Kinder im Ausland erbracht werden muss, zwischen den EU-Ländern nach so strengen Regeln ausgearbeitet, dass selbst bei der nun angestoßenen Diskussion noch nicht die Rede davon war, dass diese Kinder nur auf dem Papier existieren. Immerhin, möchte man meinen. Wenn jetzt bei den Auseinandersetzungen auch noch sachliche Argumente die Überhand gewinnen, ist diese unschöne Diskussion hoffentlich bald wieder vom Tisch.