Seit 1989 ist der 23. Oktober in Ungarn Nationalfeiertag. Damit wird an den Volksaufstand im Jahr 1956 erinnert. Aber was passierte damals eigentlich genau?
Mit dem Ende des II. Weltkriegs geriet Ungarn in den sowjetischen Einflussbereich. Bei den ersten Nachkriegswahlen erreichten die Kommunisten zwar nur 17%, konnten mit Hilfe der Besatzungsmacht ihre Macht aber nach und nach ausbauen. Die Rote Armee verblieb auch nach dem Abschluss eines Friedensvertrages 1947 im Land. Nach und nach wurde Ungarn zu einem Arbeiter-und-Bauern-Staat „ausgebaut“, war also ein vollständig von der Sowjetunion abhängiger Satellitenstaat, in dem der Außenminister jede seiner Entscheidungen in Moskau abnicken lassen musste.
Ähnlich wie in der UdSSR um Stalin entwickelte sich um dessen „besten Schüler“, den ungarischen Ministerpräsidenten Mátyás Rákosi ein Personenkult. Nach Stalins Tod setzte auch in Ungarn eine Reformbewegung ein. Ab Juli 1953 war Imre Nagy erstmals Ministerpräsident und erreichte mit seinen Reformen einen Anstieg des Lebensstandards. Allerdings verlor er den Machtkampf an der Spitze und trat im April 1955 zurück. Mit dem Einsetzen der Entstalinisierung 1956 rumorte es auch in Ungarn immer mehr, vor allem an den Universitäten wurden Freiheitsrechte, Parlamentismus und nationale Unabhängigkeit gefordert. Die Studenten der TU Budapest stellten am 22. Oktober 1956 einen Forderungskatalog zusammen und brachten ihn an andere Hochschulen, in Betriebe und Behörden, um ihn bekannt zu machen. Allerdings verweigerte der ungarische Rundfunk eine Veröffentlichung.
So kam es am 23. Oktober zu Protesten, die im Ungarischen Volksaufstand mündeten, denn tausende Menschen schlossen sich der Demonstration an. Vor dem Rundfunkgebäude wurde auf den Aufzug geschossen. Da die Protestierenden von ungarischen Soldaten Waffen hatten, konnte das Gebäude aber gestürmt werden. Am Abend des 23. Oktober versammelten sich 200.000 Menschen vor dem Parlament und forderten u.a. die Unabhängigkeit von der Sowjetunion und die Ernennung des Reformkommunisten Imre Nagy zum Ministerpräsidenten. Bereits an diesem Abend griff die Besatzungsmacht militärisch ein, es gab zahllose Tote.
In den nachfolgenden Tagen weitete sich der Aufstand im ganzen Land aus. Zunächst schienen die Reformkräfte bei den Kämpfen die Oberhand zu behalten, am 30. Oktober verkündete Nagy das Ende der Einparteienherrschaft. Nachdem sich die Sowjetunion scheinbar auf Verhandlungen einließ, erklärte Ungarn am 1. November seine Unabhängigkeit und den Austritt aus dem Warschauer Pakt. Nun ließ die Besatzungsmacht erneut Panzer rollen, am 4. November wurde die Koalitionsregierung Imre Nagys abgesetzt.
Nun kam es bis zum 15. November im ganzen Land zu Kämpfen, die aber aufgrund der fehlenden technischen Ausrüstung von vornherein zum Scheitern verurteilt waren. Historiker gehen davon aus, dass mindestens 2.500 Ungarn ihr Leben verloren, die sowjetischen Truppen behaupteten den Verlust von 720 Soldaten.
Mit der endgültigen Niederschlagung des Aufstandes setzte eine Fluchtbewegung gen Westen ein. Mehr als 200.000 Ungarn verließen ihr Land, um den nachfolgenden Säuberungen zu entgehen.
Imre Nagy floh in die jugoslawische Botschaft, verließ diese aber nach Zusicherung von Straffreiheit durch den neuen Ministerpräsidenten János Kádár. Dennoch wurde Nagy im Juni 1958 in einem Schauprozess zum Tode verurteilt und hingerichtet. Kádár, der außenpolitisch einen moskau-treuen Kurs einschlug, ermöglichte im Inneren jedoch Reformen – den sogenannten Gulaschkommunismus. Nagys politischer Rivale Kádár starb übrigens am 6. Juli 1989 – dem Tag, an dem die Todesurteile von 1956 für unrechtmäßig erklärt wurden, was damals von den Ungarn als symbolische Sühne betrachtet wurde.
von Stefan Höhm (sh)