Stefan Höhm (sh): In dieser Woche hat der Europäische Gerichtshof erwartungsgemäß die Klagen von Ungarn und der Slowakei gegen den im September 2015 gefassten Mehrheitsbeschluss des EU-Ministerrates abgewiesen, wonach die beiden Länder 1294 bzw. 902 Flüchtlinge aufnehmen müssen. Die Reaktionen auf das Urteil waren ebenso wenig überraschend.
Der deutsche Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) begrüßte die Entscheidung erwartungsgemäß und erwarte nun eine schnelle Umsetzung des Urteils. Ähnlich äußerte sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Der sich im Wahlkampfmodus befindende SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz drohte ebenso wie der Vizepräsident des EU-Parlaments Alexander Graf Lambsdorff (FDP) mit der Verhängung von Geldstrafen. Die Linken-Politikerin Ulla Jelpke zeigte sich von dem Urteil erfreut, erwähnte aber auch das Problem, dass man „Schutzsuchende nicht in Länder schicken kann, in denen ihnen regierungsamtlich geschürter Hass und unmenschliche Lebensbedingungen drohen“. Deshalb forderte Jelpke, dass sich Asylsuchende aussuchen dürfen, in welchem EU-Land sie ihren Asylantrag stellen wollen.
Der slowakische Ministerpräsident Robert unterstrich, dass sich die Position seines Landes in der Frage nicht geändert habe, möchte die Entscheidung aber „akzeptieren“. Zuvor hatte sich sein Wirtschaftsminister Peter Ziga dahingehend geäußert, dass die Quote nicht funktioniert und das Urteil daher „irrelavant“ sei.
Ungarns Außenminister Péter Szijjártó kritisierte die Entscheidung, die „die Sicherheit und die Zukunft ganz Europas gefährde“, erwartungsgemäß scharf. Wie schon nach der Empfehlung der Klageabweisung durch den Generalanwalt Yves Bot Ende Juli äußerte er, dass allein politische Argumente berücksichtigt worden seien. Ungarn werde daher weiter „nach allen legalen Mitteln suchen, die sicherstellen, dass die Nation selbst das letzte Wort darüber habe, wer ins Land einreisen dürfe“, sagte der Außenminister, „die Schlacht beginnt erst“. Welche Mittel damit gemeint sein könnten, ist allerdings unklar.
Allerdings ist schon jetzt absehbar, dass in der Causa Umverteilung noch lange nicht das letzte Wort gesprochen wurde, auch wenn deutsche Medien in den unterschiedlichen Aussendungen aus der Slowakei und Ungarn ein Auseinandertriften der Klagepartner verorten wollen.
Vielleicht stecken dahinter aber auch nur unterschiedliche Taktiken bei der tatsächlichen Umsetzung. Denn selbst wenn die Slowakei jetzt „ihre“ Flüchtlinge ins Land lässt, ist überhaupt nicht absehbar wie diese darauf reagieren. Im Herbst 2015 nannten quasi alle Deutschland als Zielland und hielten Fotos von Bundeskanzlerin Merkel in die Kameras. Ungarn will dagegen offensichtlich einen Präsenzfall verhindern und die Flüchtlinge gar nicht erst auf sein Staatsgebiet lassen.
Weitere Probleme bei der Umsetzung des Urteils sind darin zu sehen, dass es kein direktes Vollstreckungsorgan hierfür gibt. Zwar können Geldstrafen angedroht werden, aber dieses Verfahren ist langwierig und ergebnisoffen. Auch ein möglicher Entzug der Stimmrechte nach Artikel 7 des Lissaboner Vertrags erscheint in weiter Ferne zu sein, weil hierfür Einstimmigkeit der anderen EU-Mitgliedsstaaten notwendig ist und Polen bereits mehrfach signalisierte, dem nicht zuzustimmen. Vielleicht sind es diese möglichen juristischen Scharmützel, die Szijjártó meinte.
Was in der Berichterstattung auch kaum Erwähnung fand, ist die Tatsache, dass die Umsetzung des maßgeblichen EU-Beschlusses bis Ende dieses Monats erfolgen soll. Von den 120.000 Flüchtlingen wurden bisher nur 11.966 in Europa verteilt, was die Vermutung nahelegt, dass sich andere Länder da im Schatten der beiden Klageländer auch nicht so verhalten haben, wie man es gern dargestellt wissen will.
Es gibt also viele Anhaltspunkte dafür, dass es sich hier eher um einen Pyrrhussieg der westlichen Politik handelt. In dem nun schon seit 2015 andauernden Streit um die Flüchtlings-bzw. Migrationsproblematik zeigen sich grundsätzlich andere Sichtweisen der einzelnen EU-Mitglieder. Das beginnt schon bei der Wortwahl. Während westliche Politiker stets von „Flüchtlingen“ sprechen, betont man in Ungarn, dass diese außerhalb der Krisen- und Kriegsgebiete nurmehr „Migranten“ seien, da keine akute Gefährdung mehr vorliege. Dementsprechend sieht man das nicht kontrollierte Überschreiten der serbisch-ungarischen Grenze durch diese Menschen als „illegale Einwanderung“ an.